Wenn die Angst eines ist, dann ist sie unsichtbar. Das macht die Sache mit den Panikattacken/der Angststörung nämlich so verzwickt. Man sieht die Attacke nicht kommen. Und ist sie dann da, dann sehen die Menschen um einen herum nicht, welche Panik gerade in einem tobt. Zugegeben - das ist ein Vorteil. Also irgendwo. Trotzdem bleibt da ein Graben zwischen den sympathischen Angstgestörten und den "Normalen".
Sicherlich gibt es Tausende von Punkten, die nur den Angsthasen unter uns ein Begriff sind. Aber auch wenn nur die Bescheid wissen, dann heißt das wenigstens immernoch, man ist nicht allein im Wald der Panikattacken.
Ich habe mir 10 Punkte/Momente/Situationen überlegt, die ein Angsthase wie ich ein bisschen anders erlebt, als die Unängstlichen. Los geht's.
1. Angsthasen haben immer einen Fluchtweg parat
Egal ob im Kino, im Hörsaal, im Theater, im Bus oder sogar in der Kirche - Angsthasen haben den Fluchtweg immer im Blick. Klar - das Kino und die Kirche sind keine per se gefährlichen Orte. Auch in Hörsälen sollen sich Gewaltverbrechen und Ähnliches eher in Grenzen halten. Sie haben jedoch alle eines gemeinsam: Man kann nicht plötzlich unbemerkt abhauen. Hockt man in der Mitte einer Sitzreihe und möchte plötzlich einfach nur raus, dann müssen viele Leute zum Aufstehen bewegt werden, bevor man an ihnen vorbei und auf "sicheres Terrain" gelangen kann. Das könnte ja auch Fragen aufwerfen, die Leute könnten sich über einen ärgern. Und müsste man dann sogar noch ein zweites Mal aufstehen ... nicht auszudenken! Daher postieren sich Angsthasen gerne am Gang oder in der Nähe einer Tür. Falls man mal schnell in Panik raus rennen müsste. Oft hat allein die Nähe zum Fluchtweg jedoch eine beruhigende Wirkung auf die Angsthasen und es muss gar nicht erst zur Flucht kommen. Aber für den Fall der Fälle tut das natürlich gut zu wissen.
2. Angsthasen sind medizinisch bestens ausgerüstet
Blutdruckmessgeräte sind nur was für Rentner? Beruhigungspillen sind was für Weicheier? Und Pulsuhren sind lediglich was für Fitness-Freaks? Weit gefehlt. All dies gehört in der Regel zur Standardausrüstung von Angsthasen. Denn es tut immer gut, wenn man sich im Falle höchster Not selbst versichern kann, dass man sich nicht in Lebensgefahr befindet. In Hochzeiten kann das morgendliche Blutdruckmessen schon mal zur Routine werden - auch wenn genau genommen alles ganz normal ist. Auch kann es ganz gut tun, die Beruhigungspillchen der Wahl immer dabei zu haben. Ein ganzer Apothekerschrank voller Schüssler-Salze muss keine Seltenheit sein. Wenn euch also ein spontanes Wehwehchen plagt und ihr habt den ein oder anderen Angsthasen im Freundeskreis - ihr wisst, wer den Stoff hat.
3. Angsthasen haben eine fürchterliche Angst vorm Umkippen
Früher mag das als eines der Traditionsmerkmale des weiblichen Geschlechts gegolten haben - für Angsthasen ist es aber ein Graus. Das damenhafte in Ohnmachtfallen ist für viele Angsthasen unter uns der blanke Horror. Klingt kurios, doch es ist eine erwiesene Gemeinsamkeit vieler Angsthasen, dass sie panische Angst vorm Ohnmächtigwerden haben. Warum? Tja. Da sind die Psychologen gefragt. Vielleicht hat es mit dem Kontrollverlust zu tun. Oder der Angst, man könnte sich beim Umkippen verletzen. Oder aber, man fürchtet, beim Ohnmächtigsein blöd auszusehen (das vermutlich am ehesten). Das geht übrigens einher mit Punkt 2 und der Sache mit den Blutdruckmessgeräten. Man kippt ja in der Regel seltener um, wenn mit dem Kreislauf alles passt. Und Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.
4. Angsthasen finden immer gute Gründe, sich zu schonen
Sport ist Mord, oder? Für viele Angstpatienten ist das erwiesene Tatsache. Schließlich macht der Körper während so ner Anstrengung ganz viele, problematische Sachen. Das Herz schlägt zum Beispiel so schnell. Und es wird einem heiß, man schwitzt. Das kann ja nicht gut gehen. Was, wenn der Puls niemals wieder runter geht? Kann so ein Herz vom Joggen explodieren? Das sind so Fragen, die man sich als Angsthase schon mal stellen kann. Und sicher kennt jeder jemanden, der jemanden kennt, der sich bei körperlicher Ertüchtigung ziemlich verletzt hat. Angsthasen bewahren sich lieber sicher und in aller Ruhe auf dem heimischen Sofa auf. Da ist es sicher, da hat das Herz keinen Grund, den Puls in die Höhe schießen zu lassen.
Aber Achtung "Fun-Fact": Das ist genau falsch (wer hätte es gedacht). Sport kann sogar dabei helfen, die Panik abzubauen. Schließlich ist der Panik-Impuls Nummereo uno nicht umsonst, der Gedanke: "Lauf!". Panik stellt dem Körper zusätzliche Energie bereit. Wer sich richtig auspowert, tut nicht nur seinem Körper etwas Gutes - er wird definitiv auch entspannter werden (und weniger Panik haben).
5. Wir mögen keinen Oma-Tratsch
Eines der Lieblingshobbys meiner Oma war es, sich auf dem Friedhof herumzutreiben. Da wurde mit den anderen Frauen gewetteifert, wer die Gräber besser pflegt. Und man traf sich auf den Bänken zum Tratschen. Meine Oma stand da offenbar so sehr drauf, dass sie jeden Tag die gleiche Runde lief - um sich auf dem Friedhof zu erkundigen, was es so Neues gibt. "Hast du schon gehört? Die Erna ist gestorben. Und ihrer Freundin, der Alma, gehts auch gar nicht gut. Da sieht es ganz schlecht aus." Brrrr. Solche Themen jagen sicher jedem irgendwie eine Gänsehaut über den Rücken. Bei Angsthasen kann so eine Konversation hingegen in sofortiges Fluchtverhalten münden. Wir Angsthasen bewerten solche Themen gerne über. Wenn die Erna gestorben ist und die Alma an der Schwelle des Todes steht, dann kann es für einen selbst ja auch gleich soweit sein. Vielleicht sogar ... jetzt? Überhaupt scheinen gerade alle Menschen zu sterben und totsterbenskrank zu sein. Die Welt ist ein gefährlicher Ort. Ein Wunder, dass man es überhaupt so lange geschafft hat ...
Und schon befindet man sich im herrlichsten Gedankenkreisel - die nächste Panikattacke steht schon an der Tür und winkt. Das Schlimmste, was man jetzt machen kann, ist, nach den jeweiligen Todesursachen zu googeln - unter Garantie hat man das nämlich dann auch. Mindestens.
6. Die Sache mit den großen Plätzen
Stellt euch einen herrlichen, riesigen freien Platz vor. Den Petersplatz vielleicht, den Markusplatz oder andere Plätze mit irgendeinem Vornamen. Diese Freiheit, man fühlt sich plötzlich ganz klein angesichts dieser majestätischen, weitläufigen, gepflasterten .... Hölle! Ihr kennt sicher die Klaustrophobie - die Sache mit den großen Plätzen ist ungefähr umgekehrt. Der viele Platz macht Angsthasen Angst. Es macht uns schwindelig - kein Schlupfloch in Sicht, kein Geländer, an dem man sich festhalten kann, keine Bank, auf der man rasten kann (falls innerhalb der zu überbrückenden 200 Metern die Erschöpfung eintritt). Es ist grausam. Wer sich sowas ausgedacht hat ...
7. Wir wollen, dass du es nicht schlimm findest. Auch wenn wir dir sagen, dass es ganz, ganz schlimm ist.
Es kann passieren, dass ein Angsthase beschließt, einen "Normalo" in sein Angstgeheimnis einzuweihen. Vielleicht, weil er meint, das könnte ihm gut tun. Vielleicht, weil eine Panikattacke im Anmarsch ist und er sichergehen will, dass der "Normalo" ihn gegebenenfalls erretten kann. Im Falle einer - Gott bewahre - Ohnmacht oder so. In der Regel wird der panische Angsthase Panik haben. Und erzählen, was Furchtbares in ihm vorgeht. Herzrasen, Schwindel, Übelkeit - das ganze Programm. Es ist nur verständlich, dass der eingeweihte "Normalo" sein Bedauern ausdrücken wird. Ist aber genau falsch. Wenn der Angsthase hört, dass auch der "Normalo" findet, dass das ganz, ganz schlimm ist, was er hat, dann wird das Ganze noch viel schlimmerer. Panik für die Panikmühlen! Besser: Cool bleiben. Eine Panikattacke ist nicht gefährlich - nur unangenehm. Reagiert der "Normalo" nicht panisch - verständnisvoll zwar, aber doch cool und nicht alarmiert, z.B. so wie wenn man sagt "Klar, Lippenherpes ist kacke, versteh ich. Geht aber wieder weg" - dann wird der Angsthase vermutlich etwas konsterniert dreinblicken. Letztendlich wird die Panikattacke aber vielleicht verfliegen - ohne das haareraufende Panikpublikum.
8. Wir können uns nicht einfach abregen
Liebe Angsthasen, ihr wisst, wovon ich spreche. Gute Ratschläge von "Normalos" sind oft nicht gerade ... wertvoll. Nein, wir können uns nicht einfach abregen, schon gar nicht einfach. Und "Mach dir doch nicht so viele Gedanken" gibt uns ungefähr den gleichen Impuls wie "Denk nicht an einen rosa Elefanten": Man denkt an rosa Elefanten, ergo man macht sich Gedanken. Haarsträubend, wie sich "Normalos" "einfach abregen" können (auch wenn sie das vielleicht selber auch nicht können). Macht einem nur noch mehr klar, dass man höchstwahrscheinlich hochgradig verrückt ist. Nicht gut. Besser (siehe oben): "Ja, das ist blöd, versteh ich. Aber - Kopf hoch! - das geht vorbei."
...
Dies ist natürlich nur ein winzigkleiner Auszug aus der mannigfaltigen, bunten Welt der Phobiker. Es gibt ja einen ganzen bunten Blumenstrauß an Phobien - da variieren die Symptome natürlich auch wieder.
Wichtig ist aber in jedem Fall: Man sollte niemals den Humor verlieren.