Schwere Vorhänge schieben sich seitwärts. Staubpartikel tanzen in der bunten Hitze der Scheinwerfer. Leichte Lederschläppchen hinterlassen hauchfeine, kurvige Spuren auf dem Tanzboden.
Fünf Sekunden Stille, Verharren in der ersten Position, das Herz klopft laut.
Dann setzt die Musik ein, die ersten Takte schwingen durch den Raum, die erste Bewegung geschieht wie von selbst. Die Schritte, eigentlich längst Routine.
Eine Arabesque, ein Chassé, eine Pirouette .
Und Freeze.
Ich blicke nur kurze Zeit direkt in einen Spot. Die schwachen Lichter aus dem Zuschauerraum flirren. Stoff raschelt. Leises Stimmengemurmel hinter der Musik. In meinem Kopf zuckt wie ein Blitz ein Gedanke auf.
"Was, wenn ich es verkacke?"
...
...
...
...
...
Schon kribbelt der Fuß, der gerade zum Piqué ansetzen will. Schon steigt die Hitze von meinem Bauch in den Kopf. Schon senkt sich der Nebel vor meine Augen. Das Herz hält sich nicht mehr an den Takt, den die Musik vorgibt.
Die Panik ist mit auf die Bühne gekrochen, hat sich in der Ecke hinter dem Vorhang im Dunkeln gehalten und gleitet nun wie eine Schlange zu mir in die Mitte der Bühne, bereit, sich um meine Knöchel zu winden und mich vor aller Augen zu Fall zu bringen.
Dort würde ich dann liegen, auf den Brettern, die für manche die Welt bedeuten, wie ein gefallener Vogel mit zerzausten Federn, das Gesicht im Staub. Grotesk und exponiert, dem Spott preis gegeben. Oder aber das, was mich hier auf der Bühne heimsucht, ist sogar der Tod. Ich erwarte ihn immer, in Momenten der Angst halluziniere ich immer von ihm. Sehe ihn lauern, sehe ihn lachen, bereit mich herauszureißen aus dem Leben, das ich so liebe. Irgendwann lässt der Sensenmann den Mantel fallen und zum Vorschein kommt einmal mehr nur die Fratze der Panik, das Gesicht der unbegründeten Angst. Die mich seit vielen Jahren immer wieder befällt. Aber auch immer wieder geht. Darauf ist Verlass.
Doch auch wenn die Angst kein Todfeind ist, so ist sie doch ein Spielverderber.
Der Kampf muss gekämpft werden. In Sekunden, hier auf der Bühne vor den Zuschauern.
"Entspanne dich. Genieße. Sieh dich um, was geschieht? Beschreib es!" rufe ich mich in Gedanken.
Musik. Licht. Tanzender Staub. Das Gefühl des harten Holzbodens unter der dünnen Ledersohle. Luft, die ich mit meinen Armen aufwirbele, die um meine gestreckten Finger herumfließt, meine Haare fliegen lässt. Schweiß, der auf meinem Gesicht glitzert.
"Lächle! Lächle!"
Ein Lächeln, blitzende Augen, eine stolze Arabesque. Schlussposition.
Der Vorhang fällt und ich bin nicht gestürzt. Ich renne den anderen Mädchen in die Umkleide hinterher zum Kostümwechsel. Sie haben getanzt, ich habe gekämpft.
Doch niemand hat es bemerkt und das ist ein stiller Sieg.
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